Neujahrsturnier in Krefeld

Max berichtet vom Neujahrsturnier in Krefeld:

Es ist 12 Uhr am Neujahrstag. Normale Menschen nutzen diese Zeit um an guten Vorsätzen zu arbeiten, aufzuräumen oder einen Rausch auszuschlafen. Ich sitze im Zug zum Schnellschachturnier des SK Turm Krefeld …
Heimlokal des SK Turm Krefeld und anscheinend auch von der Schachgesellschaft Krefeld als Untermieterin
… und tröste mich schon vorab damit dass was auch immer ich dort anstellen werde nicht die größte Krefelder Katastrophe des Tages gewesen sein wird (https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2020-01/feuer-zoo-krefeld-affenhaus-brand-menschenaffen-silvester).
Das Turnier selbst bot bei 47 Teilnehmern insgesamt drei Großmeister, daneben aber vor allem Jugendliche und andere Spieler unter meiner“ Kragenweite“, womit ich mich an Setzlistenplatz 11 einreihe – eigentlich ideal um eine Weile in Schlagdistanz zur Spitze zu bleiben und etwas vom Kampf um den Turniersieg mitzubekommen. Soweit jedenfalls der Plan. Dieser hält auch zwei Runden lang ganz gut, dank eines erfolgreich geblufften inkorrekten Läuferopfers auf h7 sowie einem  Durchbruch am Damenflügel in halboffener Stellung. Dann beschert mir die Losfee GM Epischin.
Epischin war Zweiter der Setzliste. Zufälligerweise war auch Brett 2 im ganzen Saal als einziges mit Holzschemeln statt Polsterstühlen bestückt. Ich weiß nicht, wer diese Aufstellung vorgenommen hat, zweifle aber nicht an deren Weisheit.
Jedenfalls durfte ich in Runde 3 auf den Holzschemel und mir vom GM eine Moderne Verteidigung zeigen lassen mit dem Ziel mich in objektiv fragwürdiger Stellung irgendwie zu beschummeln. So leicht will ich es natürlich nicht machen und halte mich in den Komplikationen bei beiderseitig unsicheren Königen ziemlich gut bis ich mit einem gesunden Mehrbauern im Endspiel lande. Das spiele ich dann aber viel zu passiv weiter und kriege meine deplatzierten Leichtfiguren nicht sortiert bis schlíeßlich eine weg ist. 2/3
So weit, so erwartet. Zeit sich wieder hochzuarbeiten. Der nächste Gegner serviert mir dann gleich noch einmal modernen Klumpatsch (1. Nc3). Bei meinem Versuch, in bekanntere Muster überzuleiten, glaube ich eine forcierte Abwicklung in ein besseres Endspiel zu haben, übersehe aber einen taktischen Gegenschlag der Stellung und Partie kostet. Gleich der nächste Gegner packt auch wieder eine moderne Verteidigung aus. Weil ich mich partout weigere aus nur einem Fehler zu lernen,  suche ich auch hier einen forcierten Weg zum Vorteil. Immerhin sammle ich auch gleich zwei Baurn ein, gefolgt von noch einer Leichtfigur. Und einer Qualität. Das Ganze aber auf Kosten meiner Bedenkzeit, die dann doch eine Rolle spielt als ich in die allerletzte taktische Falle reinlaufe und mit den letzten beiden Figuren mattgesetzt werde. 2/5
Gnädigerweise erlaubt mir anschließend die (nach-)Mittagspause etwas Zeit zur Besinnung im angrenzenden botanischen Garten (noch nicht abgebrannt). Ohne realistische Chancen auf Erfolg in meiner Ratinggruppe blieb mir für den Rest des Turniers noch die Wahl zwischen Eröffnungsexperimenten oder Experimenten mit der Getränkekarte.
Fünf Schnäpse auf der Karte aber nur noch vier Runden am Nachmittag.
Willkürlich entscheide ich mich gegen die Schnäpse und für die Eröffnungsexperimente was sich zunächst als schlechte Wahl herausstellt. Ich gerate direkt in einer viel zu passiven Stellung und kann irgendwann die Drohungen gegen meinen König nur noch mit multiplen Bauernopfern und vogelwilden Königswanderungen abwehren. Dies aber bringt meinen Gegner völlig aus dem Konzept. Zunächst lässt er erst einmal ein unnötiges Dauerschach zu, dann stellt er noch unnötigerweise die Dame ein. 3/6
Das nächste Experiment endet damit dass mein 12-jähriger Gegner mir eine lupenreine Benoni-Struktur aufs Brett stellt. Zu meiner Zeit hätte es so etwas nicht gegeben… sichtlich beeindruckt verpasse ich es, meine deutlich bessere Stellung auch zu gewinnen und stelle meinen Turm ein – praktischerweise nimmt mein Gegner nur die Leichtfigur weg, wonach ich noch den letzten Bauern abräumen und das Remis sichern kann. 3,5/7
Also gut, noch ein Experiment. Diesmal gebe ich bei Übergang von Mittel- zu Endspiel gleicht selber einen Bauern um meine Entwicklung abzuschließen. Dies stellt sich im Nachhinein als geniales Konzept heraus weil mein Gegner beim Versuch, den Mehrbauern zu decken, seinen Turm in einen Doppelangriff stellt 4,5/8
Vor der letzten Runde stellt sich heraus, dass ich trotz Performance von unter 1800 noch theoretische Chancen auf den Ratingpreis für < 2075 habe. Also lasse ich dann doch mal die Patzer sein und schiebe meinen letzten Gegner in ca. 20 Zügen mit primitiven Drohungen gegen f6 und f7 zusammen (für am Ende 5,5/9). Der Ratingpreis materialisiert sich am Ende verdienterweise nicht, immerhin schaffe ich es fast auf meine Setzlistenposition (12 statt 11). Die wäre ein befriedigendes Resultat, hätte ich auf dem Weg dahin mehr als einmal gegen einen Gegner mit mehr als 1900 DWZ/ELO gespielt. Die 20er Jahre können ab hier gerne noch ein Stück besser werden.